OLG Dresden, Urteil vom 16.08.2022 – 14 U 1140/21 – 

BGH, Beschluss vom 15.02.2023 – VII ZR 167/22GH – (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen)

Müssen DIN-Normen immer berücksichtigt werden?

Sachverhalt:

Ein Auftraggeber (nachfolgend AG genannt) beauftragt einen Dachdecker als Auftragnehmer (nachfolgend AN genannt) mit der Ausführung von Dachdeckerarbeiten an einem Schuppen.

In dem vertraglich vereinbarten Bau-Soll/Leistungsverzeichnis werden Details zur Ausführung der Dachschalungsarbeiten nicht vorgegeben und mithin nicht vereinbart. AN führt die Dachschalung mit sogenannten Glattkantbrettern aus.

Demgegenüber ist AG der Auffassung, dass die Dachschalung mit gespundeten Brettern mit Nut und Federn erfolgen müsse. Er beruft sich dabei auf die Flachdachrichtlinie und die DIN 18531. AG vertritt die Ansicht, dass aufgrund der von ihm behaupteten Mängel der AN bereits überzahlt sei und verlangt eine Rückzahlung bereits geleisteter Abschlagszahlungen im Rahmen des Rechtsstreits.

Der von dem Gericht beauftragte Sachverständige gelangt jedoch in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass die von dem AN ausgeführten Arbeiten mangelfrei seien und dass für den konkreten Verwendungszweck die von dem AG verlangte Ausführung mit gespundeten Brettern mit Nut und Federn unüblich und auch nicht fachlich korrekt sei. Vielmehr sei die vom AN gewählte Ausführung ökonomisch, sowie technisch und konstruktiv richtig.

Urteil:

Der AG verliert den Prozess.

Eine spezielle Beschaffenheit der Bretter oder der Art der Ausführung war unstreitig nicht vereinbart worden. In dem Falle hat der AN die Leistung so herzustellen, dass sie nicht mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch aufhebt. Die Leistung muss danach für eine gewöhnliche Verwendung geeignet sein und eine Beschaffenheit aufweisen, die üblich ist und von dem Besteller nach der Art des Werks erwartet werden kann. AN schuldet ein funktionsgerechtes Werk, welches den anerkannten Regeln der Technik entspricht.

Die Voraussetzungen bejaht das Gericht vorliegend auf der Grundlage der gutachterlichen Feststellungen. Dabei kann nach Auffassung des Gerichts die Frage, ob die Flachdachrichtlinien und die DIN 18531 auf die vorliegende Dachkonstruktion Anwendung finden dahingestellt bleiben; selbst in dem Falle, dass diese Regelungen Anwendung finden können DIN-Normen „zu Fall gebracht“ werden, wenn AN den Beweis führt, dass wie vorliegend die Dachschalung mangelfrei und ordnungsgemäß erbracht worden ist. Dies ist auf der Grundlage der Feststellungen des Sachverständigen zu bejahen.

fazit:

Ein AN schuldet dem AG im Zeitpunkt der Abnahme ein abnahmefähiges Werk. Die Leistung ist abnahmefähig, wenn keine wesentlichen, die Funktionsfähigkeit beeinträchtigenden Mängel vorliegen.

In Kurzform liegt ein Mangel vor, wenn das vertragliche Bau-Soll nicht erreicht wird und die anerkannten Regeln der Technik nicht eingehalten werden. DIN-Normen kommt grundsätzlich keine Rechtsnormqualität zu. Es handelt sich vielmehr um private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter, die zwar die Vermutung beinhalten, die anerkannten Regeln der Technik widerzuspiegeln, dies jedoch nicht zwingend ist. DIN-Normen können auch hinter den anerkannten Regeln der Technik zurückbleiben. Die Vermutung, dass DIN-Normen die allgemein anerkannten Regeln der Technik widerspiegeln führt zu einer Beweislaständerung mit der Folge, dass derjenige, der eine DIN-Norm „zu Fall bringen“ will, beweispflichtig ist. Dieser Beweis kann wie vorliegend durch ein Sachverständigengutachten geführt werden.

Ganz elementar wichtig ist es für AN und AG zu wissen, dass auch in den Fällen, in denen sich nach Vertragsschluss die anerkannten Regeln der Technik als Mindeststandard ändern, der AN nicht einfach weiterbauen darf. Vielmehr muss er dann nach der einhelligen BGH-Rechtsprechung einen Bedenkenhinweis gegenüber dem AG erheben. In der VOB ist dies in den §§ 4 Abs. 3, 13 Abs. 3 VOB/B ausdrücklich normiert, gilt jedoch nach einhelliger Rechtsprechung auch BGH-Werkverträgen. Der Bedenkenhinweis muss klar, eindeutig, möglichst schriftlich, nachweisbar vor Beginn der Arbeiten gegenüber dem AG erhoben werden. Der AG muss nämlich in die Lage versetzt werden, „sehenden Auges“ zu entscheiden, welche Leistungen er dann ausgeführt haben möchte. Wenn AG nach Erteilung eines Bedenkenhinweises die Auffassung vertritt, dass er die „neuen“ anerkannten Regeln der Technik nicht wünscht schuldet der AN trotz Verstoßes gegen die anerkannten Regeln der Technik auch im Zeitpunkt der Abnahme dann nur die Einhaltung der „alten“ Regelungen und ist bezüglich der höherwertigen Leistung aus der Gewährleistung. Verlangt der AG demgegenüber die Einhaltung der neuen allgemein anerkannten Regeln der Technik mit der Folge, dass ein aufwändigeres Bauverfahren erforderlich wird, steht dem AN ein Mehrvergütungsanspruch gemäß §§ 2 Abs. 5 oder 2 Abs. 6 VOB/B unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung/Sowiesokosten zu.

Autor:

Rechtsanwalt Goetz Michaelis

Fachanwalt für Baurecht und Architektenrecht  

ANWALTSKANZLEI MICHAELIS, Werne

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