OLG DRESDEN, URTEIL VOM 03.09.2020 – 10 U 1743/17 –

FÄLLT EINE BEHINDERUNG WEG, SIND ARBEITEN UNVERZÜGLICH WIEDER AUFZUNEHMEN!

Problem:

Ein Auftraggeber (AG) kündigt den mit einem Auftragnehmer (AN) geschlossenen VOB-Bauvertrag nach verschiedenen Behinderungen und Arbeitseinstellung der Arbeiten durch den AN sowie dem fruchtlosen Ablauf einer gesetzten Frist zur Fortsetzung der Bauleistungen. AG beansprucht vom AN die nach der Kündigung entstandenen Mehrkosten durch Einschaltung eines Drittunternehmers zur Fertigstellung der Leistungen. AN vertritt die Auffassung, dass keine Kündigung aus wichtigem Grund vorgelegen habe, sondern nur eine sogenannte ordentliche Kündigung, mit der Konsequenz, dass der AG keine Mehrkosten von ihm verlangen kann.

Urteil:

AG gewinnt den Rechtsstreit.

Die Kündigung wurde als Kündigung aus wichtigem Grund gemäß §§ 5 Abs. 4, 8 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B angesehen.

Begründet wird dies damit, dass der AN nach Wegfall der unstreitig vorhandenen Behinderung die Arbeiten trotz Fristsetzung nicht wieder aufgenommen hat, obgleich keine Behinderungen mehr vorlagen.

Nimmt der AN nach dem Wegfall einer Behinderung seine Leistungen nicht wieder auf, obwohl keine weiteren Behinderungen vorliegen, kann ihm

der AG unter Androhung der Kündigung eine Frist zur Wiederaufnahme der Arbeiten setzen und nach fruchtlosem Fristablauf den Vertrag kündigen

Nach der Kündigung und Durchführung einer Ersatzvornahme steht dem AG ein Anspruch auf Erstattung der Mehrkosten zu, die ihm durch die Beauftragung eines Drittunternehmers entstanden sind.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass der AN alle Aufwendungen zu ersetzen hat, selbst wenn sich deren Unverhältnismäßigkeit ohne Verschulden des AG nachträglich herausstellt. Das sogenannte Prognoserisiko trägt nämlich der AN.

fazit

Dieser Fall zeigt ein typisches Dilemma sowohl für AG als auch für AN.

Wenn eine Behinderung im Sinne von § 6 VOB/B vorliegt ist diese vom AN anzuzeigen und nach deren Beendigung abzumelden. Fällt die Behinderung weg muss AN dann aber auch mit den Arbeiten wieder beginnen unter Berücksichtigung einer angemessen „Anlaufzeit“ gemäß § 6 Abs. 4 VOB/B. Anderenfalls besteht für AN die Gefahr, dass AG wie im vorliegenden Fall gemäß § 5 VOB/B entsprechende Fristen unter Kündigungsandrohung setzt und nach fruchtlosem Fristablauf den Werkvertrag aus wichtigem Grund kündigt und der AN dann mit erheblichen Mehrkosten belastet wird durch die Einschaltung von Drittunternehmen.

Das Recht zur Arbeitseinstellung besteht zu Gunsten des AN nur unter sehr strengen Voraussetzungen. Das Risiko, die Arbeiten einzustellen ist für AN erheblich. Ohne Risiko kann AN grundsätzlich nur die Arbeiten einstellen, wenn eine von ihm geforderte Bauhandwerkersicherheit gemäß § 650 f BGB trotz angemessener Fristsetzung vom AG nicht gestellt wird. AN kann die Arbeiten auch einstellen, wenn eine fällige Forderung trotz Fristsetzung nicht bezahlt wird oder ein berechtigter Nachtrag kategorisch abgelehnt wird, wobei dann im Einzelfall stets sich die Frage stellt, ob tatsächlich und insbesondere in welcher Höhe eine fällige Forderung offensteht und ob der Nachtrag tatsächlich berechtigt war. Mithin bestehen in diesen Fällen wieder erhebliche Risiken für den AN, wenn er die Arbeiten einstellt.

Umgekehrt hat auch der AG ein erhebliches Risiko, wenn er einen Vertrag aus wichtigem Grund kündigen möchte. AG muss dann nämlich den wichtigen Grund beweisen. Stellt sich später heraus, dass kein wichtiger Grund zur Kündigung vorgelegen hatte liegt gleichwohl eine Kündigung vor; diese ist dann jedoch als jederzeit zulässige ordentliche Kündigung gemäß § 8 Abs. 1 VOB/B zu behandeln, mit der für den AG negativen Konsequenz, dass er nicht nur dem AN den vollen Werklohn abzüglich ersparter Aufwendungen und den entgangenen Gewinn zahlen muss, sondern auch auf den Drittunternehmerkosten hängen bleibt.

Die Kündigung sollte daher stets nur das letzte Mittel sein, um ein Vertragsverhältnis zu beenden. Sofern die Parteien noch miteinander sprechen stellt die Vertragsaufhebung häufig einen für beide Parteien wirtschaftlich sinnvolleren und risikoärmeren Weg dar.

Autor:

Rechtsanwalt Goetz Michaelis

Fachanwalt für Baurecht und Architektenrecht  

ANWALTSKANZLEI MICHAELIS, Werne

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