Ein Auftragnehmer (AN) streitet mit dem Auftraggeber (AG) über die Frage, ob und wenn ja in welchem Umfange Nachtragsforderungen bestehen. AG hatte AN mit der Ausführung von Innenputzarbeiten beauftragt. AN droht dem AG, die Baustelle zu räumen, wenn die Nachträge nicht beauftragt werden. Nachdem dies nicht geschehen ist durch den AG erscheinen keine Mitarbeiter des AN am Folgetag auf der Baustelle. Daraufhin kündigt der AG den Werkvertrag mit dem AN allerdings ohne Fristsetzung mit Kündigungsandrohung. Der AN sieht die Kündigung nicht als Kündigung aus wichtigem Grund, sondern als ordentliche Kündigung an. Er stellt seine Schlussrechnung und macht die vereinbarte Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen geltend und klagt diese ein.
Die Klage des AN wird abgewiesen.
Zwar hatte AG die grundsätzlich erforderliche Frist gemäß §§ 5 Abs. 4, 8 Abs. 3 VOB/B mit Kündigungsandrohung nicht gesetzt. AN hatte jedoch zu Unrecht die Arbeiten eingestellt.
Die Einstellung der Arbeiten ist der Extremfall der unzureichenden Ausstattung einer Baustelle mit Arbeitskräften.
Eine Fristsetzung ist entbehrlich, wenn AN die rechtzeitige Erfüllung seiner Vertragspflichten so verzögert und das Vertrauen des AG in eine fristgerechte Leistung so erschüttert, dass diesem ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zuzumuten ist.
In den Fällen, in denen eine schwerwiegende Vertragsverletzung durch AN vorliegt, ist eine vorherige Fristsetzung nach Kündigungsandrohung nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich nicht erforderlich.
Diese Voraussetzungen hat das OLG vorliegend als erfüllt angesehen. Die Parteien eines Bauvertrages sind nämlich während der Vertragsdurchführung zur Kooperation verpflichtet.
Da AN die Nachtragsbeauftragung, die nicht kategorisch abgelehnt worden war durch den AG durchsetzen wollte und sogar die Arbeiten eingestellt hat und trotz Dringlichkeit der Arbeiten seine Leistungen auch nicht fortgesetzt hat war eine Fristsetzung mit Kündigungsandrohung im vorliegenden Fall als „bloße Förmelei“ entbehrlich
Dieser Fall zeigt ein typisches Dilemma sowohl für AG als auch für AN.
Wenn eine Behinderung im Sinne von § 6 VOB/B vorliegt ist diese vom AN anzuzeigen und nach deren Beendigung abzumelden. Fällt die Behinderung weg muss AN dann aber auch mit den Arbeiten wieder beginnen unter Berücksichtigung einer angemessen „Anlaufzeit“ gemäß § 6 Abs. 4 VOB/B. Anderenfalls besteht für AN die Gefahr, dass AG wie im vorliegenden Fall gemäß § 5 VOB/B entsprechende Fristen unter Kündigungsandrohung setzt und nach fruchtlosem Fristablauf den Werkvertrag aus wichtigem Grund kündigt und der AN dann mit erheblichen Mehrkosten belastet wird durch die Einschaltung von Drittunternehmen.
Das Recht zur Arbeitseinstellung besteht zu Gunsten des AN nur unter sehr strengen Voraussetzungen. Das Risiko, die Arbeiten einzustellen ist für AN erheblich. Ohne Risiko kann AN grundsätzlich nur die Arbeiten einstellen, wenn eine von ihm geforderte Bauhandwerkersicherheit gemäß § 650 f BGB trotz angemessener Fristsetzung vom AG nicht gestellt wird. AN kann die Arbeiten auch einstellen, wenn eine fällige Forderung trotz Fristsetzung nicht bezahlt wird oder ein berechtigter Nachtrag kategorisch abgelehnt wird, wobei dann im Einzelfall stets sich die Frage stellt, ob tatsächlich und insbesondere in welcher Höhe eine fällige Forderung offensteht und ob der Nachtrag tatsächlich berechtigt war. Mithin bestehen in diesen Fällen wieder erhebliche Risiken für den AN, wenn er die Arbeiten einstellt.
Umgekehrt hat auch der AG ein erhebliches Risiko, wenn er einen Vertrag aus wichtigem Grund kündigen möchte. AG muss dann nämlich den wichtigen Grund beweisen. Stellt sich später heraus, dass kein wichtiger Grund zur Kündigung vorgelegen hatte liegt gleichwohl eine Kündigung vor; diese ist dann jedoch als jederzeit zulässige ordentliche Kündigung gemäß § 8 Abs. 1 VOB/B zu behandeln, mit der für den AG negativen Konsequenz, dass er nicht nur dem AN den vollen Werklohn abzüglich ersparter Aufwendungen und den entgangenen Gewinn zahlen muss, sondern auch auf den Drittunternehmerkosten hängen bleibt.
Die Kündigung sollte daher stets nur das letzte Mittel sein, um ein Vertragsverhältnis zu beenden. Sofern die Parteien noch miteinander sprechen stellt die Vertragsaufhebung häufig einen für beide Parteien wirtschaftlich sinnvolleren und risikoärmeren Weg dar.
Rechtsanwalt Goetz Michaelis
Fachanwalt für Baurecht und Architektenrecht
ANWALTSKANZLEI MICHAELIS, Werne